Ist das Examen einmal in der Tasche, erhalten wir Dolmetscher*innen nur selten konkretes Feedback zu unserer Leistung. „Alles wunderbar, vielen Dank!“ oder „Wie machen Sie das bloß?“ sind Klassiker, die wohl jedem Dolmetscher bekannt vorkommen. Und doch wäre konstruktive Kritik gerade für uns Dolmetscherinnen so wichtig, um uns – wie ein Spitzensportler oder eine Geigerin – ständig zu verbessern.
Wie unter anderem auf dem letzten Dolmetscher-Barcamp 2024 in Karlsruhe bemängelt, lässt die Feedback-Kultur in unserem Berufsstand jedoch zu wünschen übrig. Genau hier setzt ein Dolmetscher-für-Dolmetscher-Workshop an, der seit über 10 Jahren Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichem Erfahrungsschatz zusammenbringt: der WISE Interpreting Workshop, ins Leben gerufen von Joe Burbidge, Englisch-Dolmetscher und Dozent mit Sitz in Rom, und Jose Sentamans, Spanisch-Dolmetscher aus Valencia.
Was ist WISE?
WISE (Workshops on Interpreting Skills Exchange) ist ein intensiver einwöchiger Workshop für Konferenzdolmetscher, der jährlich in Valencia und teilweise zusätzlich in Brüssel stattfindet. In der Regel werden die „großen“ europäischen Sprachen abgedeckt, d. h. es kommen Konferenzdolmetscherinnen englischer, deutscher, französischer, spanischer und teilweise italienischer Muttersprache zusammen, um gemeinsam simultan und konsekutiv zu dolmetschen, Feedback von muttersprachlichen Zuhörern der Zielsprache einzuholen und sich auszutauschen – über hilfreiche Techniken und Dolmetschstrategien, den UN- und EU-Akkreditierungstest, Ressourcen, KI und andere Tools zur Einsatzvorbereitung und nicht zuletzt die unterschiedlichen europäischen Dolmetschmärkte.
Das Programm ist stramm organisiert: Wer mehrere C- und eine Retour-Sprache hat, ist an den meisten Tagen von morgens bis abends eingespannt. Dabei übernimmt jede teilnehmende Person eine Dreifachrolle, abwechselnd als Dolmetscherin, Rednerin oder Zuhörerin. Wer den Kolleginnen zuhört, gibt im anschließenden Debriefing ausführliches Feedback.

Feedback-Tabelle für Dolmetschleistungen
Für wen ist WISE?
WISE ist für alle Konferenzdolmetscher*innen mit den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und (je nach Auflage) Italienisch, die ihre Simultan- und Konsekutivleistung verbessern möchten und dazu bereit sind, sich dem kritischen (aber immer wohlwollenden) Feedback ihrer Kolleginnen und Kollegen zu stellen. Der Status (angestellt oder freiberuflich) und Erfahrungsschatz sind dabei – soweit ich die Auswahl der Teilnehmenden beurteilen kann – nicht entscheidend. In Valencia 2024 gab es EU- und UN-akkreditierte Dolmetscher aus Brüssel und Genf, Dolmetscherinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung aus anderen Großstädten, viele Dolmetscher mit schätzungsweise 5-15 Jahren Erfahrung wie auch frisch gebackene Absolventinnen. Insgesamt also ein bunter Mix lernwilliger Dolmetscher aus nah und fern.

Teil der WISE-Valencia-2024-Gruppe in der Ciutat de les Arts i les Ciències
Rahmenprogramm
Viel Zeit (und Energie!), um nach dem Dolmetschen noch die Stadt zu entdecken, blieb zwar nicht, dennoch haben wir es geschafft, wichtige Sehenswürdigkeiten wie die Ciutat de les Arts i les Ciències, die Altstadt und den Jardín del Turia zumindest kurz zu besuchen. Mittags ging die Gruppe immer in die tolle Kantine der nahegelegenen Medizinfakultät und abends wurde gemeinsam in abwechselnden Restaurants gegessen. Ein Highlight war am letzten Tag die gemeinsame Paella am Strand – gefolgt von herzlichen Abschiedsdrückern und Versprechen, weiterhin in Kontakt zu bleiben.
Lernen als Lebenseinstellung
Abgesehen vom Feedback der Zuhörenden zu einzelnen Dolmetschleistungen fand ich persönlich vor allem die Herangehensweise und Leistung der UN-Dolmetscher tief beeindruckend. Sie arbeiteten extrem präzise, ohne je robotisch zu klingen. Wie sie das machten? „When you interpret, you do not exist“, erklärte mir ein UN-Kollege und empfahl, sich immer wieder emotionsgeladene und inspirierende Reden vorzuknüpfen und sie so lange zu wiederholen, bis man mit der eigenen Verdolmetschung zufrieden ist. Es wurde klar: Erstklassiges Dolmetschen hat weniger mit einem diffusen „Sprachtalent“, sondern viel mehr mit Disziplin und ständiger Weiterentwicklung zu tun.
Zweite wichtige Erkenntnis: In der Gruppe geht es leichter und macht auch noch Spaß! Beflügelt von der WISE-Erfahrung bin ich inzwischen Teil mehrerer Arbeitsgruppen gleichgesinnter Dolmetscherinnen geworden, um regelmäßig professionelles Feedback einzuholen (für ins Englische arbeitende Dolmetscher empfehle ich das Coaching mit Sophie Llewellyn-Smith) und die eigene Sprach- und Dolmetschkompetenz immer weiter zu vertiefen.








Wer Lust bekommen hat, ebenfalls ein WISEaner oder einer WISEanerin zu werden, findet auf der WISE-Website alle Infos zu Anmeldung und Terminen.