9. Januar 2024

Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie meine Gesprächspartner*innen auf meinen Beruf reagieren. „Ach, Übersetzerin! Arbeitest du dann auch mit so einem Programm?“, fragte mich letztens eine neue Bekanntschaft. Es folgte eine Diskussion über maschinelle Übersetzung, was sie kann und was sie nicht kann, warum ich selbst (noch) nicht mit maschineller Übersetzung arbeite und dass ich wie die allermeisten Übersetzer*innen aber auch mit „so einem Programm“ arbeite. Was es mit diesen sogenannten CAT-Tools auf sich hat und warum vor allem die Bearbeitung umfangreicher Projekte ohne CAT-Tool inzwischen undenkbar ist, will ich in diesem Blogartikel erklären.

Computer-Assisted Translation (CAT) Tools

Ein CAT-Tool ist eine Software, die Übersetzer*innen bei der Bearbeitung ihrer Aufträge unterstützt. Die Betonung liegt hier auf unterstützt, denn die Denkarbeit bleibt weiterhin uns überlassen. Es ist gar nicht so lange her, da waren CAT-Tools tatsächlich nichts weiter als ein Add-in für Word, mit dem die Übersetzer*innen den Text strukturiert Schritt für Schritt durchgehen konnten, ohne das Layout und die Formatierung zu ändern.

Bis vor einigen Jahren sah das bei allen Tools ungefähr so aus:

Screenshot eines Word-Dokuments mit geöffnetem Übersetzungssegment.
So sahen CAT-Tools früher aus: Der Text wurde in einzelne Sätze oder Segmente geschnitten und zur Übersetzung bereitgestellt. (Quelle: https://translationjournal.net/journal/17wordfast.htm)

Das CAT-Tool segmentierte den Text, öffnete die einzelnen Segmente zur Übersetzung (hier in Türkis), die Übersetzerin tippt die Übersetzung in das geöffnete (graue) Feld ein, bestätigt und schließt das Segment, das CAT-Tool springt automatisch zum nächsten Segment usw. Schick, endlich blieb die Formatierung wie im Original erhalten und vergessene Sätze wurden quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Ein begeisterter Übersetzer von damals berichtete: „I never skip a sentence, proofreading became much easier and faster, strain on my eyes and brain decreased dramatically.”

Die große Neuerung der CAT-Tools von damals war, dass die übersetzten Satzpaare im Hintergrund in einem Übersetzungsspeicher (Translation Memory, TM) gespeichert wurden. Falls also im obigen Beispiel das Segment „Carla del Ponte, United Nations Chief Prosecutor of the International Criminal Tribunal…” nochmal genauso – oder so ähnlich – vorkommt, schlägt das CAT-Tool die alte Übersetzung automatisch vor. Würde es also ein Segment „Serge Brammertz, United Nations Chief Prosecutor….“ geben, würde das schlaue Tool auf die gespeicherte Übersetzung hinweisen, wodurch dem Übersetzer zum Beispiel die erneute Recherche der offiziellen Positionsbezeichnung erspart würde. Da sich selbst offizielle Titel immer mal wieder ändern, muss sie aber dennoch überprüft werden müssen. Daher, wie gesagt: Die Tools unterstützen, sie übernehmen den Übersetzer*innen aber nicht die Recherche-, Prüf- und Denkarbeit ab.

CAT-Tools heute

Inzwischen haben sich CAT-Tools enorm weiterentwickelt. Sie sind sozusagen das InDesign der Übersetzung, laufen als unabhängige Software mit eigener Oberfläche und erledigen komplexe Aufgaben, die uns den Übersetzeralltag erleichtern. Neben dem Einbinden von Fachwörterbüchern und Kundenglossaren können wir mit den Tools – apropos InDesign – zum Beispiel verschiedene native Dateienformate bearbeiten. Bei umfangreichen Publikationen, die professionell mit InDesign erstellt werden, entfällt das lästige und fehleranfällige Copy-und-Paste dadurch komplett.

Inzwischen sieht die Oberfläche der meisten CAT-Tools so oder so ähnlich aus:

Modernes CAT-Tool mit zahlreichen Funktionen
Modernes CAT-Tool mit zahlreichen Funktionen (Quelle: eigener Screenshot).

 

Der Hauptunterschied zu den Tools der ersten Stunde ist also, dass die Texte heute in Tabellenform gegenübergestellt werden, wodurch man die Übersetzung deutlich einfacher Korrektur lesen kann, und die Software um ein vielfaches komplexer und leistungsfähiger ist. Die Branchenführer SDL Trados und memoQ können hochkomplexe Funktionen erfüllen, und ja, man kann auch maschinelle Übersetzungsvorschläge einbinden. Wichtig für juristische Übersetzungen: Der integrierte Terminologie-Manager sorgt für konsistente Terminologie – trotz müder Augen – und auch streng vertrauliche Unterlagen können mit einem CAT-Tool unbedenklich bearbeitet werden, da keine Internetverbindung nötig ist und weder eine Cloud noch ein Server zum Einsatz kommen.

Für umfassende Übersetzungsprojekte ist ein CAT-Tool auf jeden Fall zu empfehlen. Es gewährleistet die Einheitlichkeit der Terminologie und einzelner Phrasen und bringt viele Vorteile für die Qualitätssicherung, die ein herkömmliches Textverarbeitungsprogramm nicht leisten kann.

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