Seit ich übersetze, gendere ich. Also unbewusst, denn für mich waren „employees“ im Deutschen schon immer „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Schon 2010 hatte ich als Praktikantin bei der Europäischen Kommission gelernt: Aus „citizens“ werden „Bürgerinnen und Bürger“, aus „farmers“ „Landwirtinnen und Landwirte“ usw. Als der DUDEN im Januar 2021 – über zehn Jahre später – ankündigte, auch die weiblichen Personenbezeichnungen in seiner Online-Version aufzunehmen, war der Aufschrei groß. Was war da los? Die Doppelnennung war für mich längst völlig normal.
Und das Gendersternchen? So richtig anfreunden konnte ich mich damit lange nicht. Umso spannender wurde es für mich im Herbst 2020, als ich über mehrere Monate eine Publikation aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte. Zu Beginn des Projekts verständigte ich mich mit der Kundin darauf, „wie üblich“ in der Paarform zu gendern und aus „politicians“ beispielsweise „Politikerinnen und Politiker“ (oder eben „die Politik“ o. ä.) zu machen. So weit, so gut. Der September war gerade angebrochen und ich übersetzte fröhlich los. Die Debatte ums Gendern hatte inzwischen mächtig Fahrt aufgenommen und das Gendersternchen tauchte immer öfter auch in bekannten Medien auf. Sogar in der mündlichen Sprache hatte das Gendern dank Claus Kleber und Anne Will im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Einzug gehalten. Mitte Oktober schließlich die Anweisung der Projektleitung: Ab sofort soll durchgängig das Gendersternchen verwendet werden, alle bestehenden Übersetzungen müssen umgeschrieben werden.
Planänderung: ab jetzt wird mit dem Stern gegendert
Zugegeben – als Vielschreiberin hatte ich das Gendersternchen lange als umständlich, unnatürlich und den Lesefluss massiv störend empfunden. Nun musste ich mich wohl oder übel damit anfreunden. Die Kundin, eine bedeutende Institution mit durchaus auch sprachlicher Autorität, wollte ausdrücklich das Sternchen. Jetzt hieß es kreativ werden, dachte ich, denn ich musste ja „alles“ umschreiben, um Konstrukte wie „Jede*r Bürger*in, der*die sich in seinem*ihren Wahlkreis als Bürgermeister*in (oder sollte es jetzt Bürger*innenmeister*in heißen?) zur Wahl stellt,…“ zu vermeiden. Auweia, mir rauchte schon der Kopf, bevor ich das erste Sternchen setzte.
Nach anfänglicher Verdrängungstaktik beugte ich mich schließlich meinem Schicksal und machte mich ans Umschreiben: Datei öffnen, zum Dokumentanfang springen und den kleinen rechten Finger schon mal in Position bringen. Mein erster Fund: „Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie“. Daraus wurde jetzt genderneutral „Befragte“. Das war sogar kürzer, von 41 Zeichen auf 8. Weiter ging’s mit „Bürgerinnen und Bürger“, easy peasy gegendert zu „Bürger*innen“ (und oh, schon wieder Zeichen gespart!). Aus „Vertreterinnen und Vertretern“ wurden „Vertreter*innen“, aus „civil servants“ „öffentlich Bedienstete“ (anstatt etwa „Beamtinnen und Beamte“) und aus „candidates“ „Kandidat*innen“ oder „Bewerbende“ anstatt des deutlich längeren „Kandidatinnen und Kandidaten“ oder „Bewerberinnen und Bewerber“. Erstes Zwischenfazit: Das Gendersternchen ist gar nicht so schlimm. Im Gegenteil: Da es sich um einen behördlichen Text handelte, machte das Sternchen das Deutsche oft sogar kürzer und prägnanter.
Zweifelsfälle
Neben der einfachen Umwandlung in geschlechtsneutrale Bezeichnungen ( z. B. „Staatsoberhäupter“ für „presidents and prime ministers“) und der Verwendung von Sachbezeichnungen (z. B. „die Politik“ für „politicians“), substantivierten Partizipien (z. B. „die Teilnehmenden“ für „participants“) und natürlich des Gendersternchens gab es auch zahlreiche Zweifelsfälle und kniffligere Stellen. Sollten „Akteur“, „Handelspartner“ und „Wettbewerber“ gegendert werden? Ich entschied mich dagegen, außer es war klar, dass es sich um Personen handelte, und nicht um Einrichtungen oder Unternehmen.
Bei englischen Satzkonstruktionen mit „every“, „each“ und „any“ musste ich etwas länger nachdenken, um eine idiomatische deutsche Übersetzung ohne „jede*r X*in, der*die…“ hinzubekommen. Die Krux an der Übersetzung: Man muss sich schon an den Ausgangstext halten, d. h. man ist bei aller künstlerischen Freiheit natürlich an den Inhalt des Ausgangstextes gebunden. Aber zurück zum Thema: Sätze mit „jeder X, der…“ können häufig gut in den Plural gesetzt werden und zu „alle X, die…“ umformuliert werden. Heißt das, dass wir uns von Ansagen wie „Jeder, der…“ jetzt verabschieden müssen? Nein! Jeder darf für sich selbst entscheiden, ob und wie er gendern möchte. Auf meiner eigenen Website gendere ich, weil ich es für inklusiver und dadurch besser halte. Zweitens ist „jeder“ eine Ellipse von „jeder [Mensch]“ und hat deshalb durchaus auch in der gendergerechten Sprache seinen Platz. Und drittens passt bei Konstruktionen mit „jeder, der“ häufig „wer“ als Alternative. „Jeder, der hier einkauft, …“ wird dann zu „Wer hier einkauft, …“.
Fazit: ein Hoch auf das Sternchen
Nach erstaunlich wenigen Seiten hatte sich mein Auge so sehr an das Gendersternchen gewöhnt, dass ich es tatsächlich einfach mitlas. Am Ende setzte ich 909 Gendersternchen auf 440 Normseiten, macht 2 Sternchen pro Seite. Das finde ich vertretbar.