"2023 – das Jahr der KI" fasst Netzökonom Holger Schmidt die letzten zwölf Monate zusammen. Auch beim Übersetzen und Dolmetschen gab es in diesem Jahr ein beherrschendes Thema: künstliche Intelligenz und wie sie unseren Alltag als Übersetzerinnen und in der Dolmetschkabine verändern wird.
Auch ich habe mich 2023 viele Stunden mit KI beschäftigt und bin – der Nachfrage von Bestands- und Neukunden folgend – in die maschinelle Übersetzung eingestiegen. Ich habe mir neue Tools und Arbeitsweisen (Phrase, DeepL, organisationsinterne Engines, Nachbearbeitung maschinell erstellter Übersetzungen) angeschaut und vieles getestet. Zwar hatte ich auch in den vergangenen Jahren immer wieder Machine Translation (MT) ausprobiert, doch in den Ergebnissen sah ich lange keinen wirklichen Nutzen. Der Nachbearbeitungsaufwand war einfach zu groß. Das hat sich 2023 geändert. Zwar ist vieles, was DeepL, Copy.AI und Co. produzieren, für die professionelle Übersetzung weiterhin unbrauchbar und/oder muss umfassend überarbeitet werden, bei manchen Textsorten sorgt die KI aber doch für eine gewisse Arbeitserleichterung. Der Vorteil: schnellere Lieferung und teilweise geringere Kosten – ein großer Vorteil beispielsweise für Privatkundinnen, die etwa beglaubigte Übersetzungen ganzer Handbücher vorlegen müssen, um ihre Bildungsabschlüsse anerkennen zu lassen. Die freudige Rückmeldung einer Kundin, der genau das passierte:
Maschinelle Übersetzungssysteme kommen allerdings nur bei Dokumenten in Frage, die bedenkenlos an eine Übersetzungsmaschine (in den USA) geschickt werden können. Bei vertraulichen Texten ist die maschinelle Übersetzung mit herkömmlichen Übersetzungs-Engines bislang weiterhin tabu, genauso wie bei stilistisch anspruchsvollen Texten, die mit Fingerspitzengefühl und Wissen über Betrieb, Branche und Kultur übersetzt werden wollen.
Dass richtig gute Texte nicht von Maschinen produziert werden (egal in welcher Sprache) scheint nach dem Getöse um ChatGPT auch bei Unternehmen angekommen zu sein, die Übersetzungen einkaufen. Mein Eindruck ist, dass Auftraggeber inzwischen sehr gezielt entscheiden, ob ein Text professionell (von einem Menschen) oder per Maschine übersetzt werden soll.
Diese E-Mail einer langjährigen Kundin brachte mich in diesem Jahr zum Lachen – und inspirierte mich zum Titel meines Jahresrückblicks 2023:
Mein persönliches Fazit zur Umwälzung der Übersetzungsbranche durch KI fällt bei allen Bedenken und auch persönlichen Sorgen, die ich mir in diesem Jahr gemacht habe, dennoch positiv aus: Das Aufgabenspektrum hat sich erweitert und die Aufträge, die in die professionelle Übersetzung gehen, sind anspruchsvoller und damit interessanter – sowohl in der Bearbeitung als auch in der Zusammenarbeit mit den Kunden, die meine Expertise plötzlich ganz anders wertschätzen.
Übersetzungshighlights 2023
Mit meinem bewährten Team aus englischen Muttersprachler*innen durfte ich in diesem Jahr wieder zahlreiche Übersetzungs- und Lektoratsprojekte in der Sprachkombination Deutsch-Englisch begleiten. Mit der überraschenden Schließung der Alfred Herrhausen Gesellschaft ging ein langjähriger Kunde verloren, es kamen aber auch spannende Neukunden dazu. Was sie alle gemeinsam haben: Sie suchen kein klassisches Übersetzungsbüro, sondern eine flexible Partnerin für alles Sprachliche, die je nach Projekt auch mal direkt auf Englisch textet, maschinell übersetzte Inhalte überarbeitet (sogenanntes Post Editing) oder bei der blitzschnellen KI-gestützten Produktion mehrsprachiger Videos unterstützt.
Ein persönliches Highlight bei den Übersetzungen ins Deutsche war für mich 2023 die ganz klassische Übersetzung der großen Integrationsstudie der OECD Settling In – Indikatoren der Integration von Zugewanderten 2023, die neben Englisch und Französisch im Oktober 2023 schließlich auch auf Deutsch erschien, geschlechtergerecht formuliert und ganz ohne KI bearbeitet.
Dolmetschhighlights 2023
Beim Dolmetschen gab es wieder einen bunten Strauß an Einsätzen, von Fachkonferenzen mit Simultanverdolmetschung in Berlin über interaktive Workshops mit mobilem Dolmetschequipment (PFA) in München bis hin zu Einsätzen als Gerichtsdolmetscherin. Ein Highlight war in diesem Jahr ein mehrtägiger Simultaneinsatz in Göteborg. Hier gab es alles, was das Dolmetscherinnenherz begehrt: spannende Vorträge, einwandfreie Tontechnik und ein tolles Team (plus die eine oder andere Zimtschnecke😋).
Beratung zu gendersensibler Sprache 2023
Steigende Preise, weiterhin Krieg in der Ukraine und Aufflammen des Nahostkonflikts: 2023 wurde die Debatte ums Gendern von drängenderen Themen überlagert. Trotzdem hat sich im Laufe des Jahres viel getan und zahlreiche Unternehmen und Verbände sind in ihrer Kommunikation geschlechtersensibler geworden. So durfte ich den Berliner Traditionsbetrieb BRILLENkammer beispielsweise beim Relaunch der Website begleiten und mit meinem Team die englischen Texte dafür liefern.
Doch auch jenseits der professionellen Unternehmenskommunikation ist das Interesse an geschlechtergerechte(re)n Formulierungen weiter groß. Meine beiden Blog-Artikel zum Gendern von "Sehr geehrte Damen und Herren" und Gendern von "Kollegen" wurden in diesem Jahr insgesamt rund 66.000 Mal aufgerufen. Neben kritischen Mails durfte ich in diesem Jahr sogar mehrere freundliche Kommentare dazu einfahren.
Da sich seit Erstellung meines Infoguides Gendern 2021 doch viel verändert hat, habe ich Ende des Jahres auch mit der Überarbeitung des Infoguides bzw. mit der Konzeption eines Updates zu gendersensibler Sprache angefangen. Themen- und Formatwünsche interessieren mich natürlich sehr und dürfen gerne in die Kommentare unten geschrieben werden.
Was 2023 sonst noch los war
Eine schöne Veränderung in diesem Jahr war mein Einzug ins Gemeinschaftsbüro Foxeys in Berlin-Zehlendorf. Hier teile ich meine dolmetschfreien Arbeitstage mit anderen Selbständigen aus unterschiedlichen Branchen oder hole mir neue Ideen bei einer Runde um den See.
Dann wurde meine Website gehackt, was ich dank des tollen Supports von All-Inkl zum Glück relativ schnell wieder lösen konnte. Außerdem war es schön, nach der langen Veranstaltungspause durch Corona wieder mehr Fortbildungen und Netzwerktreffen in Präsenz zu besuchen, angefangen von der Jahresmitgliederversammlung des Verbands der Konferenzdolmetscher im Januar über den Berliner Unternehmerinnentag 2023, auf dem in diesem Jahr u. a. Prof. Alena Buyx über KI und Natascha Wegelin alias Madame Moneypenny über Finanzen referierten, bis hin zum Mitgliedertreffen des BDÜ-Landesverbands Berlin im November.
Meine Ziele 2024
- mehr dolmetschen, sowohl auf dem freien Konferenzmarkt als auch bei Berliner Gerichten und Notaren
- das Update zu professionellem Gendern fertigstellen und als Masterclass und Workshop zu meinen aktuellen Angeboten hinzufügen
- endlich die Fortbildung der Berliner Journalistenschule zum Texten von Überschriften, Bildunterschriften und Teasern besuchen
- meine Konsekutivtechnik verfeinern
- meine Themenideenliste Monat für Monat verbloggen
- mich weiterhin und noch intensiver mit KI für die Übersetzungs- und Dolmetschbranche beschäftigen
Liebe Katherina,
das war ein spannender Einblick, vielen Dank! Mir gefällt dein Fazit zu den KI-Übersetzungen, weil es so konstruktiv, pragmatisch und optimistisch ist. Ich habe den Eindruck, dass es da große Ängste gibt, auch in meinem Bereich (ich bin Sprechtrainerin und manchmal Sprecherin). Aber eine wirklich ernstzunehmende, direkte Konkurrenz sind KI Stimmen nicht. Sie brauchen viel nachträgliche Überarbeitung, und sind lange nicht für alles zu gebrauchen. In der Zusammenarbeit mit einer menschlichen Stimme kann aber spannendes Neues entstehen.
Ich wünsche dir ein schönes neues Jahr voller Freude!
Alles Liebe
Paula
Liebe Paula,
danke für deinen Kommentar. Mit den KI-Stimmen habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Es klappt noch bei weitem nicht so gut wie es verkauft wird und die Audiospuren müssen teilweise sehr aufwendig nachbearbeitet werden. Seien wir gespannt, wie sich das alles entwickelt!
Dir ebenso alles Gute und viel Freude im neuen Jahr
Katherina